‚Er hat das alles alleine geschafft‘

Wie das leicht zugängliche Format von Tekkie Uni einem autistischen Schüler half

Als der 10 Jahre alte Enzo Luciano Ortiz äußerte, dass er Programmieren lernen möchte, freute sich seine Mutter Irene Santander.

Luciano machte gerade eine schwierige Zeit durch. Die Familie war im Februar von ihrer Heimat Argentinien nach Florida umgezogen. Mitten im Schuljahr musste sich Luciano an einem neuen Ort und an einer neuen Schule zurechtfinden. Er spricht kein Englisch und sein Lehrer sprach kein Spanisch. Es war eine harte Zeit, und als Luciano sagte, dass er Programmieren lernen will, wollte Irene ihn in seinem Wunsch unterstützen.

Sie stieß über eine Facebook-Anzeige auf Tekkie Uni und es klang perfekt. Es war ein kindgerechter Programmierunterricht, und Luciano konnte von zu Hause aus lernen. Irene hatte allerdings ein paar Vorbehalte. Luciano ist Autist und sie war sich nicht sicher, ob er zurecht kommen würde.

„Ich wusste nicht, ob er aufpassen würde, ob er die Anforderungen des Kurses verstehen und den Anweisungen folgen können würde“, so Irene.

Sie meldete ihn trotzdem an. Sie sagte seiner Lehrerin nichts von Lucianos Autismus, aber setzte sich anfangs mit ihm zusammen, um ihm zu helfen, den Ablauf des Unterrichts zu verstehen, und sich zu vergewissern, dass er sich wohlfühlte. Aber Luciano gefiel der Kurs nicht einfach nur. Irene bemerkte, dass er in diesem Umfeld mit Gleichgesinnten aufblühte – keiner wusste, dass er Autist ist, und er wurde genau wie seine Mitschüler behandelt.

„Er hat das alles alleine geschafft. Ich habe ihm überhaupt nicht geholfen“, sagt Irene. „Ich schaue immer nur mal rein und sehe, was er macht.“

Ein Unterrichtskonzept, das für neurodiverse Schüler funktioniert

Wie viele andere autistische Kinder ist Luciano in seinem Kommunikationsverhalten nicht gerade expressiv. Dies kann zu Schwierigkeiten führen, insbesondere beim Versuch, die Englisch-Spanisch-Barriere in der Schule zu überwinden.

Das Besondere an den Programmierkursen bei Tekkie Uni ist, dass die Webcams der Schüler im Unterricht ausgeschaltet sind. Die Schüler kommunizieren mit dem Kursleiter und ihren Mitschülern per Sprachkommunikation und Chat. Das hat mehrere Gründe – zum Beispiel werden die Kinder von Kameras häufig abgelenkt – aber für Luciano funktionierte es gut. Er kommunizierte mit seiner Lehrerin Andrea per Chat.

Da er die Möglichkeit hatte, die für ihn bequemste Kommunikationsform zu wählen, konnte Luciano sich genauso wohlfühlen wie seine Mitschüler im Kurs und Rückmeldungen von der Lehrerin anfordern, wie und wann er diese brauchte.

Verantwortung für die eigenen Handlungen übernehmen

Für Irene ist einer der größten Vorteile dieses Unterrichts, dass Luciano Verantwortung für seinen eigenen Stundenplan übernommen hat, was für ihn etwas völlig Neues ist. Wie viele andere autistische Kinder hat Luciano Schwierigkeiten mit exekutiven Funktionen. Das heißt, dass es ihm schwerfällt, aus mehreren Schritten bestehende Anweisungen zu befolgen. Wenn seine Mutter ihn auffordert, sich für die Schule bereitzumachen, eine Anweisung, die „mach dein Bett, zieh dich an und komm frühstücken“ bedeutet, ist er dazu oft nicht in der Lage, ohne dass Irene neben ihm steht und ihm jede Anweisung einzeln gibt.

Der Programmierkurs tat ihm gut, da Lucianos Lehrerin nacheinander jeden Schritt, den die Schüler ausführen sollten, vorstellte. So fiel es Luciano leicht, die Schritte zu befolgen und ein Projekt zu erstellen. Außerdem war er durch den Kurs so motiviert, dass er sich eigenständig Systeme einrichtete, die ihn daran erinnern, wenn Unterricht ist und welche Hausaufgaben zu tun sind.

Nach einem Missgeschick begann er, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen: Dieses Jahr fiel Irenes Geburtstag auf einen Unterrichtstag, und Luciano vergaß, dass er Unterricht hatte. Er ärgerte sich so sehr über den verpassten Kurs, dass er auf seinem Smartphone eine Erinnerung einrichtete. Jetzt ertönt eine halbe Stunde vor dem Unterricht ein Alarm, und Luciano macht sich am Computer bereit zum Lernen.

„Ich finde es gut, dass ihn das veranlasst hat, Verantwortung für seinen Stundenplan zu übernehmen“, sagt Irene. „Das ist wichtig. Autistische Kinder müssen nach und nach lernen, Verantwortung zu übernehmen.“

Lernen, mit Frustration umzugehen

Es gab einige Herausforderungen. Gelegentlich hatte Luciano Schwierigkeiten mit manchen Aufgaben, aber nicht mehr als andere Kinder auch. Und er schaffte es, seine eigenen Probleme mit der Hilfe seiner Lehrerin zu lösen, die per Chat bei Fragen zur Verfügung stand und Luciano bei allen Problemen weiterhalf.

„Ich finde es toll, dass er nicht frustriert war“, sagt Irene und erzählt, dass Luciano sonst früher, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er wollte, frustriert war und aufgeben wollte. Jetzt beobachtet Irene, wie er den Umgang mit Frust im Alltag immer besser meistert.

Kreativität entwickeln

Lucianos Abschlussprojekt für den Kurs war ein Geschenk für seine ältere Schwester, die noch in Buenos Aires lebt. Seine große Schwester, 23 Jahre alt, unterstützt ihren kleinen Bruder sehr, als er Programmieren lernte. Weil sie Katzen liebt, entwickelte Luciano ein von Hello Kitty inspiriertes Spiel für sie. Die Spieler verdienen Punkte, indem sie Blumen fangen.

Diese neu gewonnene Kreativität war eine wunderbare Überraschung für seine Mutter. Lucianos Autismus, so Irene, bedeutet nicht, dass er nicht wie andere Kinder spielt.

„Er war ein neuer Mensch“, sagt sie. „Er hat nie mit Spielzeug gespielt. Seine Autos standen immer ordentlich aufgereiht, aber er hat nie mit ihnen gespielt. Ich kaufte ihm Spielzeug, das in einer Schublade endete.“

Jetzt, sagt sie, wurde seine Kreativität angeregt.

Jedem Schüler das Lernen ermöglichen

Im Laufe des Programmierkurses ist Luciano in Irenes Augen viel reifer geworden. Sie weiß nicht, ob er sich als Erwachsener auf Programmieren oder App-Entwicklung spezialisieren wird, aber ist dankbar, dass er jetzt eine Grundlage hat – er hat angefangen zu programmieren, und er hat eine Vorstellung davon, welche Art von Dingen er gerne macht.

Vielleicht will er Systemanalytiker werden, vielleicht Programmierer oder vielleicht etwas anderes“, sagt Irene. „Es gibt viele kreative Kinder, die Dinge konstruieren, und ich würde mir wünschen, dass er diese Fähigkeiten ausbaut.“

Luciano beginnt gerade seinen zweiten Kurs, und seine Mutter ermutigt Eltern von autistischen Kindern, ihre Kinder probeweise auch einmal in einem Programmierkurs anzumelden.

 „Es gibt Eltern, die sagen ‚ich will nicht, dass mein Kind den ganzen Tag am Computer hängt‘,  aber ich würde sagen, dass dies die Zukunft ist. Es ist eine gute Art, kreativ zu werden, und eine gute Art, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen“, sagt sie. „Und ich glaube, es ist gut für Kinder mit Autismus.“

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